Hannah Janz (JuFo FfM) und Dr. Miriam Bistrovic (rechts)
Bericht von Lena Reker
In ihrem Vortrag beleuchtete Dr. Miriam Bistrovic die Entwicklung des Antisemitismus und des Philosemitismus in Japan von den Anfängen bis hinein in die Gegenwart. Zu allen Zeiten waren in Japan sowohl antisemitische wie auch philosemitische Strömungen greifbar.
Heute leben in Japan ca. 1.000 bis 1.500 Juden, vor allem in den Gemeinden in Tokyo und Kobe. Philosemitische Einstellungen drücken sich u.a. in der besonderen Verehrung Anne Franks aus, deren Tagebuch in Japan über 4 Millionen Mal verkauft wurde. Auch gibt es immer wieder Theorien über eine gemeinsame Abstammung von Juden und Japanern als auserwählte Völker, die in Büchern und Fernsehserien diskutiert wurden. Positive stereotype Zuschreibungen an Juden, wie etwa wirtschaftlicher Erfolg und eine überdurchschnittliche Intelligenz, werden manchmal als Marketingstrategie für den Verkauf von Ratgebern genutzt.
Nichtsdestotrotz sind auch antisemitische Verschwörungstheorien in Japan nicht unbekannt. Im 15. und 16. Jahrhundert richteten sich solche Verschwörungstheorien noch gegen das Christentum, da das Judentum in der Zeit als Teil des Christentums angesehen wurde. Nach der Öffnung des Landes im 19. Jahrhundert wanderten zwar einige wenige Juden nach Japan ein, wurden aber kaum als solche wahrgenommen. Dr. Bistrovic wies darauf hin, dass es keine religiösen Anknüpfungspunkte für den Antisemitismus in Japan gab, er wurde vielmehr aus der Literatur übernommen. Ein prominentes Beispiel ist dafür Shakespeares Werk „Der Kaufmann von Venedig“ oder die 1924 ins Japanische übersetzten Propaganda-Schriften "Protokolle der Weisen von Zion". Vor allem die Armee diente als Multiplikator für den Antisemitismus. In der russischen Revolution sahen einige Militärs das Ergebnis einer jüdischen Verschwörung gegen Russland.
Während des 2. Weltkriegs wurden japanische Autoren antisemitischer Texte zu „Judenexperten“, die sich allerdings nicht für die Vernichtung der Juden aussprachen, sondern diesen so mächtigen Feind gnädig stimmen wollten. Eine Konsequenz aus diesem Ansatz war die Ansiedlung von ca. 3.000 Juden in der Mandschurei und in Shanghai. Der Umgang mit den Juden wurde dabei mit dem Verzehr eines Kugelfisches verglichen - daher der Name "Fugu-Plan".
1940 erschien eine vollständige Übersetzung von Hitlers „Mein Kampf“ auf japanisch, allerdings mit einem kommentierenden Vorwort, dass nicht alle Punkte - vor allem jene, die die Japaner nicht als "Herrenrasse" qualifizierten - aus Hitlers Programm zu übernehmen oder umzusetzen seien. Eine Comic-Version des Buches erschien 2008 in Japan.
Japan verbot sich jede deutsche Einmischung in seinen Umgang mit den angesiedelten Juden, die vor allem aus dem deutschsprachigen Raum kamen. In Shanghai lebten diese Juden in prekären Verhältnissen und waren auch Übergriffen ausgesetzt. Allerdings, so betonte Dr. Bistrovic, gab es keine staatlich verordneten Diskriminierungsmaßnahmen, die nur Juden trafen. Diese Maßnahmen betrafen alle als gefährlich angesehenen Ausländer in Japan.
Nach der Niederlage Japans endete die antisemitische Propaganda, da sie als unpassend für eine moderne und pazifistische Gesellschaft empfunden wurde. Stattdessen wuchs die Solidarität mit den jüdischen Opfern. Es entstanden pro-jüdische und pro-israelische Sekten, die Reisen nach Israel organisierten, Hebräisch-Kurse anboten und Spenden für Israel sammelten. Allerdings kippte diese pro-israelische Stimmung mit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und dem Öl-Embargo und sorgte für eine verstärkte pro-arabische Haltung in Japan, die sich u.a. in Boykotten israelischer Waren ausdrückte.
1995 veröffentlichte das Magazin Marco Polo einen Artikel unter dem Titel „Es gab keine Nazi-Gaskammern“, der revisionistisch antisemitische Vorurteile bediente. Erst nach massivem Protest der Werbepartner des Magazins wurden Richtigstellungen veröffentlicht. Im Zuge dieses Skandals stellte der Verlag das Magazin komplett ein, was leider Verschwörungstheorien über die Macht des jüdischen Kapitals Vorschub leistete.
Dr. Bistrovic fasste zusammen, dass sowohl die antisemitische als auch die philosemitische Literatur heute ein Nischenmarkt ist und das Schlagwort „jüdisch“ häufig der Vermarktung dient, ohne dabei den Inhalt des Buches wiederzugeben. Leider gibt es kaum aussagekräftige empirische Studien zum Thema Antisemitismus in Japan, die existierenden Studien zeigen aber, dass die antisemitische Literatur kaum Auswirkungen auf die breite öffentliche Meinung hatte.
Im Anschluss an ihren anschaulichen Vortrag beantwortete Dr. Bistrovic Fragen aus dem Publikum und kam mit den Zuhörern ins Gespräch. Die vielfältigen Nachfragen zeigten, dass das ungewöhnliche Thema auf großes Interesse gestoßen ist.